4. Die Seebener Straße - Kaiser- und Kinderspiele

Eine unheimliche Gegend, sagte im März 1998 eine ältere Dame, vom Bartholomäusberg auf die Seebener Straße herunterblickend.
Och, wir haben hier gern gespielt, meinte ihre jüngere Begleiterin, dieser Hang war unsere Anna.
Die Seebener Straße ist die älteste Straße Giebichensteins. Sie hieß vor der Zugliederung zu Halle Trothaer Straße. Ihr Verlauf war winkliger und buckliger. Kurz vor der Ränzelgasse (jetzige Klausbergstraße) war ein Buckel, auf dem Teufelszwirn üppig wucherte .
Daran erinnerte sich der Lehrer Friedrich Linke, der im Jahre 1937 eine Giebichenstein-Chronik geschrieben hat, die an die Zeit vor der Eingemeindung erinnern soll.

Bereits 1879 fuhr ein Omnibus von Trotha nach Giebichenstein und weiter nach Halle. 1883 gab es die Pferde-Straßenbahn, die sogenannte Rote Linie. Ein Jahr später kam es zu einem schweren Unfall, bei dem ein vierjähriges Mädchen ein Bein einbüßte, es erhielt ein künstliches Bein.
1892 fuhr die erste elektrische Stadtbahn Deutschlands durch die Trothaer Straße, das war die Grüne Linie. Eine Haltestelle war an der Saalschloßbrauerei. Dort soll auch am 4. Mai 1880 die erste elektrische Straßenlaterne Giebichensteins (manchmal) geleuchtet haben.

Giebichenstein war Aufenthaltsort der Königsfamilie. Als am 4. Juli 1797 der König Friedrich Wilhelm III. und Luise zum ersten Male in Halle weilten, setzten sie sich in unserem Burggarten auf dem Rasen nieder, ließen sich Kaffee und Kuchen munden und sahen der lanzenreichen Wasserschlacht zu.
Den elterlichen Picknickplatz besuchte der Kronprinz 1817.
Nicht so beschaulich lief sein Besuch 1857 als König Friedrich Wilhelm IV. ab. Er weilte auf der Unterburg Giebichenstein und hielt im Raum Halle Königsmanöver ab.

Am 8. September 1857 weihte er die restaurierte Kirche auf dem Petersberg ein. Der sonst ausgezeichnete Festredner verlor das Gedächtnis, so daß er abbrechen mußte, weil er den Faden nicht mehr fand.
Geschickt wußten die Giebichensteiner Untertanen Vaterlandstreue mit deftigen Volksvergnügen zu verbinden. So entwickelten sich in den siebziger Jahren aus den traditionellen Wasserfesten der Fischerinnung mit dem berühmten Fischerstechen Triumphfeste auf den Kaiser und seine Eroberungen. Szenen aus Kriegen wurden zu Lande und zu Wasser dargestellt, veranstaltet vom hiesigen Kriegerverein.
So die Eroberung der Insel Alsen: Kanonen donnerten durchs Saaletal, auf dem Fluß schwammen Tote zuhauf, es waren ausgestopfte Puppen. Auf dem Lande tobte der Kampf der Kavallerie, erinnert sich Linke, dabei soll sich ein Reiter zu Tode gestürzt haben.

Zur Finanzierung einer Gedenkplatte für den Kaiser wurde 1884 ebenfalls ein großes Wasserfest veranstaltet. Eine 120 qm große Holzinsel wurde auf der Saale verankert.Darauf standen Negerhütten und Palmen aus Papier. Schwarzbemalte Giebichensteiner mit Schurzfell und Speerbewaffnung, Hunden und Ziegen und 100 Prozent Hottentottenkrawall gaben die Ureinwohner. Das stellte eine afrikanische Kolonie dar, die nun von kaiserlichen Matrosen erobert wurde. Nach kurzem Kampf stand die Insel in Flammen. Die Eingeborenen sprangen in die Saale und wurden wieder weiß.

Das Spektakel muß den Giebichensteiner und Kröllwitzer Patrioten sehr gefallen haben, denn das eingespielte Geld reichte für eine Plastik mit eingelassener Bronzeplatte. Sie stellte eine Walküre dar, die ihren Fuß auf den aus dem Felsen kriechenden besiegten Drachen gesetzt hatte - ein Sinnbild für die besiegte Zweitracht der deutschen Stämme.
Die Plastik aus weißem Mamor war in den Klausbergen unweit der Saalschloßbrauerei angebracht worden. 1922 wurde sie entfernt nach Beschädigung durch verhetzte Volksgenossen.

Nicht weniger aufregend waren die Spiele der Giebichensteiner Kinder. Chronist Friedrich Linke erinnert sich an die traditionelle Befehdung der Giebichensteiner und Trothaer Kinder. Wenn die Felder abgeerntet sind, wird die Streitaxt ausgegraben. Kampftag war Sonntag. Gestärkt von Kirchenbesuch und Sonntagsessen traf man sich nachmittags in einer Talmulde zwischen den Klausbergen und dem Trothaer Friedhof. Die Schleuder wurde von zu Hause mitgebracht, die Munition, nämlich Steine, wurden unterwegs einge- sammelt. Gab es ein Loch im Kopf, wurde es mit Stolz vorgezeigt - Opfer für die Heimat.
Es kam aber auch zu Nahkämpfen mit Faust und Knüppel. Verlief sich mal der Gendarm ins Kampfgebiet, zeigte es sich leergefegt, berichtet Lehrer Linke.