Meine Beziehungen zum Objekt 5
Im Sommer 1964 wurde ich in Halle geboren. Meine Mutter wohnte in der Burgstraße 20. Mein Vater hatte zu der Zeit noch eine eigene Wohnung und ein Atelier gleich in unmittelbarer Nachbarschaft von dem Haus Seebener Straße 5. Nämlich gegenüber, auf der anderen Straßenseite, in der sogenannten und auch legendären Pauline, das war ein verwunschenes altes Haus mit einem großen, romantischen Garten. Es wurde dann für den Neubau des heute noch dort stehenden Weißen Hauses der Hochschule Burg Giebichenstein weggerissen. Jetzt erinnert nur noch ein Gingkobaum vor dem Weißen Haus an diese Zeit. So kenne ich die Pauline nur aus Erzählungen und von Fotos.
Meine erste bewußte Erinnerung an das gegenüberliegende Objekt 5 ist so etwa von 1971. Mein Schulfreund Frank Klepka wohnte in der Seebener Straße 10, nur wenige Häuser entfernt. So mußte ich immer am Objekt vorbei, wenn ich zu ihm wollte. Durch ihn bin ich auch das erste Mal ins Objekt reingekommen, weil nämlich sein Vater noch seine alte Bude dort hatte. Ich war sehr beeindruckt von den vielen Emailschildern, die Thomas Anders damals im Hof hängen hatte.
Ich erinnere mich auch, daß Frank und ich, das muß in der dritten Klasse gewesen sein, nach der Schule nicht in den Hort gingen, sondern lieber zum Objekt 5. Davor stand nämlich ein kleiner, leerer Schuttcontainer mit zwei Luken. Da legte man ganz einfach einen Balken oben auf den Deckel als Kanonenrohr, und schon hatte man einen ganz hervorragenden Panzer, bei dem man gut aus den Luken herausschauen und die feindlichen Fahrzeuge auf der Straße beschießen konnte.
Ein anderes Mal haben wir in dem leerstehenden und kaputten Anbau vom Objekt 5 einen morschen Fußboden solange mit Steinen beworfen, bis er einbrach. Daraufhin bekamen wir einen Verweis von Thomas Anders und die Auflage, in dem angrenzenden verwilderten Garten zu spielen. Was wir dann auch taten. Wir haben uns dort sogar eine Bude gebaut. Die hielt aber leider nicht lange, da der Garten auch anderen Kindern als Durchgang von der Seebener Straße zum Amtsgarten diente. Die haben die Bude dann zerstört.
Wir haben auch in dem Garten geraucht. Ich kann mich noch erinnern, daß in der Seebener Straße ein Stau von russischen Armee-LKWs war, und da ich wußte, daß Russen großzügig mit Zigaretten sind, sind wir von LKW zu LKW gelaufen und haben gerufen „Zigaret, Zigaret”. Die russischen Soldaten fanden das lustig und luden uns beide Arme voll mit Zigarettenschachteln. Wir haben dann recht viel geraucht, und der Rest wurde bei mir zu Hause eingelagert.
In dem Garten steht auch ein alter Birnbaum, auf den bin ich mit meinem Freund geklettert, und wir haben Zielscheißen in einen alten Kochtopf gemacht. Ob getroffen wurde, weiß ich nicht mehr, aber es war sehr lustig. Diesen Birnbaum, der damals noch richtig verwertbare Früchte trug, haben mein Vater und ich sogar mal abgeerntet. Die Birnen wurden eingeweckt und waren sehr lecker.
Auch später war ich manchmal im Objekt 5, denn dort war es immer recht interessant. Es gab da eine Designwerkstatt, und die Hochschule hatte nebenan in der 5a Zeichenräume. Gegenüber vom Objekt 5 im Straßenbahndepot hatte ich eine zeitlang Schulunterricht - technisches Zeichnen und ESP. Das bedeutete Einführung in die Sozialistische Produktion, da sollten wir in einer Metallwerkstatt arbeiten lernen.
Ich glaube, es endete auch mal eine Petersberg-Ralley mit einem Hoffest im Objekt 5. Im Kellergewölbe vom Hinterhaus brannte dazu ein kleines Lagerfeuer, was allerdings ziemlich sinnlos war wegen des vielen Rauches.
Ende der Siebziger war bei Gabi und Thomas, die damals noch im Hinterhaus wohnten, ein Musiker „Tommi” aus Westdeutschland zu Gast, der da auch seine anarchistischen Lieder sang und den ich ganz toll fand und von dem es sogar eine richtige LP gab.
Jahre später habe ich mit Klaus Mitschke Lieder von Tommi in unserer Band „Die Giebichensteiner Rock- knaben” gespielt . Als Gabi Hahn und Thomas Anders 1986 aus dem Objekt 5 auszogen, haben sie meinem Freund Klaus Mitschke das Haus überlassen.
Zufälligerweise wurde auch das Hinterhaus frei, in dem es ein kleines Bad gab, und da meine Freundin Grita unser erstes Baby erwartete, war das für uns eine günstige Gelegenheit, und wir zogen im Oktober 1986 ein. Es war sehr eng, ich glaube, die Wohnung hatte so 25 qm, aber mit dem Hof und dem Haus- und Amtsgarten war es vor allem für Mutter und Kind sehr schön. Grita hatte im Vorderhaus bei Klaus noch ein Zimmer, in dem sie gelegentlich arbeitete.
Eines Tages, als sie dort saß, krachte es fürchterlich, ähnlich wie bei einem Erdbeben. Grita hatte Angst, daß das Dach eingestürzt wäre, aber es war das Nachbarhaus, das war zusam- mengebrochen, und hatte unseren Gang zum Hof verschüttet. Wir kamen nun nur noch über den Schuttberg raus, daraufhin rief ich die kommunale Hausverwaltung an. Ich stellte mir vor, daß sie gleich mit einem Bagger kommen würden, um unseren Eingang von dem Schutt und den Trümmern zu befreien. Sie kamen auch wirklich gleich und schauten sich alles an. Dann sagten sie aber, daß sie keine Bagger hätten. Als Alternative boten sie an, im Vorderhaus bei Klaus zur Straßenseite hin ein Fenster auszubrechen und eine Tür einzubauen, damit wir nicht mit dem Baby über den Schuttberg krabbeln müßten. Das haben wir natürlich gelassen und selber den Gang freigeräumt.
Woran ich mich auch noch gut erinnern kann, ist, daß ich gerade in der Küche abwasche und rausschaue und da steht ein Mann auf dem Hof, den ich nicht kenne, und der will zu mir. Das war Theo Immisch, der mir meine erste Ausstellung (außerhalb des kirchlichen Raumes) anbot. Die Ausstellung war in der Gose, und zu diesem Anlaß haben auch erstmalig die Letzten Recken gespielt.
Bei Klaus im Vorderhaus habe ich mir neben der Küche eine kleine Radierdruckwerkstatt eingerichtet. Während der Zeit im Objekt 5 habe ich auch mein erstes Auto bekommen, einen himmelblauen Trabant Kombi, was damals mit 22 Jahren schon besonders war.
1987 fanden wir ein leerstehendes Haus in Kröllwitz, das ich ein Jahr lang ausbaute. Grita versorgte in der ersten Zeit die Bauarbeiter mit Mittagessen auf unserem Hof im Objekt 5.
Im November 1987 sind wir dann ausgezogen, und in unsere Wohnung zog meine Schwester Nele und nach ihr Jan Möser, der das dann später zum Studio umbaute.
Ich war dann noch viel im Objekt 5, weil ja dort mein Freund Klaus wohnte, und weil viele Feste gefeiert wurden, z.B.: Neles und Klausens Geburtstag, oder das Kulturelle Fest, und noch andere, bei denen auch Theaterstücke aufgeführt wurden und Lagerfeuer stattfanden.
Bei so einem Fest im Objekt 5 habe ich auch Baader kennengelernt, und da ich seine Texte gut fand, beschlossen wir, ein Buch zu machen. Das ist dann 1989 auch erschienen. Mein Freund Klaus hatte ja viele Projekte mit dem Haus vor, aber er hat seine Ideen immer vor sich her geschoben.
Anfang 1990 hatte er in den Wirren der Wende die Möglichkeit, das Haus zu kaufen. Das wurde dann später aber wieder rückgängig gemacht. Anfang 1991 verunglückte Klaus Mitschke mit zwei Freunden bei einem Autounfall. Dadurch konnte Klaus seine Vorstellungen vom Objekt 5 nicht mehr realisieren. Ich denke aber, daß die weitere Entwicklung des Objekt 5 in seinem Sinne ist.
Nach Klausens Tod haben Markus, Andre und Lui das Objekt mit freundlichem Wohlwollen von Klausens Eltern übernommen und versucht, die Projekte, die vorher schon angedacht waren, zu realisieren. Am Anfang war das alles noch ziemlich chaotisch, aber durch den romantischen Hof und das vielseitige Kulturprogramm war es in den ersten Jahren schon die ungewöhnlichste gastronomische Einrichtung in Halle.